Der ganz normale Werder-Wahnsinn: Europa, wir kommen …?

Alexander Nouri hat den Werder-Weg der letzten Jahre verlassen. Dem ehemaligen U23-Coach ist es in seiner noch jungen Amtszeit gelungen, das Bremer Profiteam zurück in die Erfolgsspur zu führen. Sein Rezept lautete dabei weder „Dinge verbessern“ noch „Duttball“ oder „breite Brust“, sondern vielmehr: kompakt stehen, schnell umschalten. Ein wohltuend taktischer Klang hinter Worten, die nicht nur Schall und Rauch bedeuten sollten.

„Sammeln Sie Punkte?“ „Nein, ich bin Werder-Fan …“

Nachdem bereits in der Hinrunde ein positiver Trend erkennbar wurde, erwarteten die Werder-Fans folglich mit Spannung den Rückrundenstart – der jedoch komplett schiefging: Kein einziger Zähler stand nach vier Partien zu Buche. Knappe, unglückliche Niederlagen gegen die Topteams aus Dortmund und Bayern? Verschmerzbar. Last-Minute-K.O. gegen Augsburg und Schockstarre gegen Gladbach? Verdammt kritisch. Das Abstiegsgespenst klopfte lautstark im Weserstadion an, und gemeint war damit nicht Bruno Labbadia, der bereits als Trainernachfolger gemunkelt wurde. Nouris Stuhl wackelte nun nämlich gewaltig. Das zukünftige Potenzial seines ambitionierten Dreierketten-Experiments nützte herzlich wenig, wenn es in der Gegenwart auf Kosten eines verlorenen 6-Punkte-Spiels gegen Augsburg ging. Trotz dünner Personaldecke zauberte Nouri in dieser Partie krampfhaft Ulisses Garcia als Ersatz für den verletzten Niklas Moisander aus dem Hut, und zu allem Überfluss wirkte Lamine Sané als Abwehrchef jener nicht eingespielten Dreierkette komplett überfordert. Das Resultat nach 20 Spieltagen war somit der 16. Tabellenplatz. Kurzfristig zählten im Kampf ums nackte Überleben nur noch Ergebnisse, das Auswärtsspiel in Mainz wurde daher als inoffizielles Endspiel vermutet.

Ein neues Werder-Wunder?

Neun Spieltage liegt das Aufeinandertreffen mit den Mainzern nun zurück – seitdem ist Werder Bremen ungeschlagen, fuhr 7 Siege und 2 Unentschieden ein. Nouri zeigte sich zunächst pragmatisch und passte sein System wieder an: Gegen Mainz, Wolfsburg, Darmstadt und Leverkusen kehrte man zur Viererkette zurück und punktete im reaktiven 4-2-2-2 zuverlässig. Dabei wurde wie in der 75. Minute gegen Mainz mit der Einwechslung von Miloš Veljković aber auch situativ auf Dreierkette umgestellt, um das Ergebnis (mit Erfolg) zu sichern – die Flexibilität der Mannschaft zahlte sich aus. Freilich war nicht alles Gold, was glänzte: Insbesondere über die desaströse erste Hälfte gegen Darmstadt mit der Doppel-8 of Doom aus Zlatko Junuzović und Clemens Fritz sollte man den Mantel des Schweigens hüllen. Auch wurde häufig ein passender Strafraumstürmer vermisst; Aron Jóhannsson passte nicht ins gewünschte Profil, während der gealterte Claudio Pizarro bei aller Ballsicherheit jegliche Laufarbeit im Pressing vermissen ließ. Die Ergebnisse stimmten jedoch auch weiterhin, als man ab dem 25. Spieltag wieder auf Dreierkette umstellte. Überaus souveräne, deutliche Siege gegen RB Leipzig, den SC Freiburg und Schalke 04 mit jeweils drei Toren Unterschied schlossen sich an. Selbst Ersatzspieler wie der unerfahrene Maxi Eggestein und der langzeitverletzte Luca Caldirola fügten sich oft tadellos ein, wenn das Verletzungspech zuschlug. Erst gegen Eintracht Frankfurt rächte sich die dünne Personaldecke – einen 2:0-Vorsprung zur Pause konnte man nicht ins Ziel retten. Zuvor hatten die Bremer häufig davon profitiert, sich nach dem 1:0-Führungstreffer auf ihr Konterspiel verlassen zu können und mit gnadenloser Effizienz zuzuschlagen. Im jüngsten Spiel gegen den Hamburger SV wurden jedoch neuerliche Fortschritte offensichtlich: Trotz einem frühen Rückstand kämpfte sich das Team zurück, ließ dabei vermehrt Ansätze von gutem Ballbesitzspiel aufblitzen und drehte die Begegnung nicht nur, sondern brachte die knappe Führung schließlich auch souverän über die Zeit.

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„DERBYSIEGER“ (Bildquelle: SPOX) | Beitragsbild: SZ

Einen bedeutenden Anteil am neuerlichen Erfolg trägt natürlich die Handschrift des Trainers, der seinen angekündigten Worten auch Taten folgen ließ. Insbesondere im 3-5-2-System wirkt die Mannschaft kompakt und kann sich vor allem auf die zentrale Achse stützen: In der Abwehrkette ragt der Finne Niklas Moisander heraus, der nicht nur abgeklärt verteidigt, sondern auch ein ums andere Mal mit seiner überragenden Spieleröffnung auffällt (siehe den 2:1-Treffer gegen Hamburg). Im zentralen Mittelfeld erwies sich Wintertransfer Thomas Delaney mit seiner defensiven Präsenz und großer fußballerischer Klasse umgehend als unverzichtbar – hinzu kommen weitere ballsichere Strukturgeber wie Maxi Eggestein oder Florian Grillitsch, neben denen auch ein chaotischer Box-to-Box-Player wie Junuzović ins Gefüge passt. In der Offensive heißt der Schlüsselspieler indes nicht Serge Gnabry, sondern eindeutig Max Kruse. Diesem darf man für seine ordinären Videos und den dadurch bedingten Karriererückschritt überaus dankbar sein, denn eigentlich ist er viel zu gut für ein Mittelklasseteam. Mit seiner außerordentlichen Spielintelligenz, die sich mit unermüdlichem Kampfgeist und Torgefahr paart, wertet Kruse das Spiel der gesamten Mannschaft auf und fungiert zudem als Führungspersönlichkeit auf dem Rasen. Ohne ihn erzielte Werder Bremen in der laufenden Saison einen Schnitt von mageren 0,91 Punkten/Spiel, mit ihm gab es 1,61 Punkte/Spiel.

Mission: Euro League

sdsDer Blick auf die Bundesliga-Tabelle mutet etwas skurril an: Neben einigen Topteams an der Spitze schwimmt der Großteil der Liga im Mittelmaß, wodurch selbst den Tabellensechzehnten nur neun Punkte vom 6. Platz trennen. Mit Schalke, Leverkusen und Gladbach dümpeln in dieser Spielzeit ungewöhnlich viele vermeintliche Topmannschaften im Niemandsland der Tabelle herum; zwei ihrer Trainer überlebten gar den Winter nicht. Hinter dem Spitzenquartett aus Bayern, Leipzig, Hoffenheim und Dortmund ist daher ein offener Schlagabtausch um die weiteren europäischen Plätze 5, 6 und evtl. 7 entbrannt. Sowohl die Hertha als auch der 1. FC Köln, die Freiburger und die Frankfurter mussten jedoch am 28. Spieltag Niederlagen einstecken und wirken wenig konstant in ihren Leistungen.

Grund genug für die grün-weiße Lawine aus dem hohen Norden, sich nach dem so gut wie gesicherten Klassenerhalt intensiv mit dem Gedanken an Europa zu befassen!  Noch hat man dabei so gut wie alles in der eigenen Hand. Nach einem unangenehmen Kampfspiel gegen die Ingolstädter wird es an den beiden folgenden Spieltagen zu direkten Duellen gegen Köln und Hertha kommen, aus denen bereits in der Hinrunde vier Punkte entsprangen. Den Abschluss bilden die beiden Begegnungen mit Hoffenheim und dem BVB. Möglicherweise ist deren Privatfehde um den 3. Tabellenrang bis dahin bereits entschieden, sodass sie eventuell nur noch mit halber Kraft gegen Werder antreten würden. Die Europa League könnte für die Bremer Segen und Fluch zugleich bedeuten. Einerseits winkt neben millionenschweren Preisgeldern das internationale Parkett, das Gnabry eine spannende Perspektive zur Vertragsverlängerung bieten würde und auch Werders Strahlkraft für gefragte Spieler auf dem Transfermarkt erhöht. Andererseits hat sich die Dreifachbelastung schon bei vielen Vorgängerteams negativ auf den Bundesliga-Alltag niedergeschlagen. Die nächsten Wochen werden in diesem Zusammenhang richtungsweisend für den neuen Werder-Weg.

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