Mein Filmjahresrückblick 2019 ist wie die alljährliche Betriebskostenabrechnung: Er kommt, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Ohne weitere Vorrede präsentiere ich nun meine 10 liebsten und unliebsten Erstsichtungen des vergangenen Jahres zusammen mit 10 weiteren erwähnenswerten Neuentdeckungen in insgesamt 30 Sätzen – und selbstverständlich inklusive der Trailer-Links bei Empfehlungen.
Allen Lesern wünsche ich an dieser Stelle einen guten Rutsch, man hört sich 2021 dann wieder häufiger.
MEINE 10 HIGHLIGHTS

Auf Platz 1 thront ungefährdet Tarantinos neuester Streich ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD, der groovigste Hangout-Film des Jahres; nach den beiden etwas holprigen Vorgängerwerken frönt QT mit seiner Version des ‘69er-Hollywoods nun wieder gewohnt stilsicher dem Eskapismus.
HARD BOILED erreicht nicht ganz die Höhen des emotionaleren „The Killer“, in dem John Woo zudem den besseren Soundtrack auffährt, doch die Lobeshymnen kommen auch bei seinem 1992er-Werk nicht von ungefähr – wer sich zum Jahresende 2020 nach legalem Feuerwerk sehnt, kommt mit diesem Actionknaller vollends auf seine Kosten.
Das Live-Action-Abenteuer POKEMON: DETECTIVE PIKACHU erhält den Titel als mein Guilty Pleasure des Jahres, da die ungeheuer charmante Integration der Pokemon in die reale Welt mein Herz aufgehen ließ – alles andere ist funktionales Beiwerk.
Bedrückend und hoffnungslos wirkt hingegen der russische Kriegsfilm KOMM UND SIEH von 1985, der die Irrungen und Wirrungen des zweiten Weltkriegs als verstörenden Fiebertraum einfängt, wie es keinem anderen Film in dieser Schonungslosigkeit je gelang.
EL CAMINO: A BREAKING BAD MOVIE ist ein wunderschöner Feelgood-Epilog aus dem Hause Gilligan, der die Missing Pieces, aber auch neue Teile der epischen Saga gekonnt zusammenfügt.
Während ich die spinnerten Abenteuer des nervigen Tom Holland gekonnt ignorierte, genoss ich wiederum mit großem Vergnügen das schwarze Schaf des zumeist debilen Marvel-Universums, SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE, mit all seinen liebevollen Animationen und echtem Herzblut.
Zum Männertag nahm ich mich diesmal endlich der gesamten Trilogie von „The Godfather“ an und lernte dabei den Originalfilm in der Zweitsichtung besonders zu schätzen – der neuentdeckte THE GODFATHER: PART II steht diesem allerdings nur in wenig nach, erzählt er Michael Corleones Story doch so opulent wie konsequent weiter und spiegelt sie zudem mit dem Aufstieg des jungen Vito.
Die japanische Produktion SHOPLIFTERS über eine Familie in Armut, die sich mit Ladendiebstählen über Wasser hält, hätte leicht als unangenehm sentimentales Rührstück enden können, herausgekommen ist jedoch ein herzerwärmendes Werk, das über den Bund der traditionellen Familie weit hinausgeht.
LAURA von Otto Preminger zählt mit seinem Zusammenspiel aus Detektiv-Krimi und erotischer Romanze, den raffinierten Wendungen und geschickt eingesetzten Flashbacks, den pointierten Dialogen und archetypischen Charakteren – allen voran Titelfigur Laura, die Namenspate für Laura Palmer in „Twin Peaks“ stand – zum absoluten Pflichtprogramm im Genre des Film Noir.
THE SEVEN YEAR ITCH ist ein weiterer Titel auf der Liste großartiger Billy-Wilder-Werke, in dem die so bezaubernde wie komödiantisch talentierte Marilyn Monroe dem Selbstgespräche führenden Tom Ewell die Show stiehlt – offenkundig auf einem Theaterstück basierend, wirkt das vergnügliche Stück über verunsicherte (un)treue Ehemänner wie ein Vorreiter für Woody-Allen-Filme.
MEINE 10 HONORABLE MENTIONS

Den sehenswertesten deutschen Film fand ich im Regie-Debüt SYSTEMSPRENGER, in dem Helena Zengel als traumatisiertes Problemkind freidreht und niemand eine Lösung für sie findet – eine willkommene Ausnahme von pädagogisch dogmatischen Sozialdramen.
Beeindruckt hat mich auch Serienkiller Fritz Honka in Fatih Akins DER GOLDENE HANDSCHUH, dessen faszinierend schmuddeliges St. Pauli der frühen 70er-Jahre dem Zuschauer in einem Moment die Kotze hochkommen lässt und im nächsten das im Halse steckengebliebene Lachen ausbrechen lässt.
Der powervolle PARASITE entwickelte sich 2019 schnell zu Everybody’s Darling, wenngleich der große Unterhaltungsfaktor doch etwas von dem konstruierten Twist und der holzhämmernden – jedoch immerhin bissigen – Sozialstudie getrübt wird.
Gene Hackman als überforderter Privatdetektiv alter Schule, gefangen in einer zynischen Noir-Welt, macht Arthur Penns NIGHT MOVES bereits im Alleingang sehenswert, den Spaß & Thrill der Geschichte empfand ich bei meiner Erstsichtung jedoch eher durchschnittlich ausgeprägt – vielleicht empfiehlt sich hier ein Wiedersehen im Dreierpack mit „Chinatown“ und „The Long Goodbye“, einem Top 10 Film meiner 2018er-Liste.
Dass im DC-Universum die künstlerisch ambitionierteren Filme als beim Kollegen Marvel gedreht werden, stellte auch bereits vor JOKER keine News mehr dar – tatsächlich begeistert der chaotische Chaos-Film eher auf dem ungewohnten Terrain der Darstellung einer psychischen Störung, während die systemkritische Symbolik auf Twitter-Niveau schlussendlich im dumpfen Soundbrei untergeht.
Für abgestumpfte Millennials taugt DIE 120 TAGE VON SODOM (OT: Salò) gewiss nicht mehr zum Skandalfilm, jedoch entwickelt der Film in seiner bewusst plumpen Symbolik bei der Darstellung einer stilvoll folternden Machtelite einen surrealen Sog der Verstörung, der über die generelle Redundanz dieser Faschismusparabel hinwegsehen lässt.
Alterswerk und Abgesang in THE IRISHMAN: Zur Verbeugung ziehe ich meinen Hut vor dieser im Vergleich zu „GoodFellas“ und „Casino“ unglamourösen Gangsterballade, die mir eher als meditativer Epilog denn als 3,5-stündiger Unterhaltungsfilm zusagte.
Auch in Martin Scorseses RAGING BULL ist die Mafia nicht weit, der Star in diesem beeindruckend gefilmten, wenngleich etwas generischen Biopic über einen dämlichen Boxer ist jedoch Robert De Niro auf dem Weg hin zu geistiger und körperlicher Selbstzerstörung.
DAS LEBEN DER FRAU OHARU zählt zu den großen 50er-Jahre-Klassikern in Kenjo Mizoguchis Werk und liefert ein faszinierendes, großartig bebildertes Porträt des feudalen Japans im 17. Jahrhundert; leider ist diese Art von repetitivem Misery Porn, der Oharus Leidensweg über mehr als 2 Stunden Laufzeit folgt, ein zweischneidiges Schwert.
Truffaut erreicht mich leider nicht wie Godard, drum schließe ich nach meinem Verweis auf die Leichtigkeit der Inszenierung, die schönen Kulissen und die pointierten Dialoge in JULES ET JIM eben doch mit dem Fazit, dass mich die Dreiecksbeziehung um die nervige Catherine emotional kalt lässt und mir ein Liebesbekenntnis unmöglich macht.
MEINE 10 LOWLIGHTS
Anstelle von BOHEMIAN RHAPSODY sollte man sich besser nur die berühmte Live-Aid-Performance von Queen bei YouTube ansehen, anstatt seine Zeit an dieses geleckte, seelenlose Biopic zu verschwenden – Freddie Mercury würde sich im Grabe herumdrehen und um ein Remake mit Sasha Baron Cohen unter Auteur-Regie flehen.
Die in ihrer Gesamtheit maßlos überschätzte Anthologie-Serie „Black Mirror“ hat ihre besten Jahre zweifelsohne bereits hinter sich, und auch der Special-Film BLACK MIRROR: BANDERSNATCH vermag diesen Eindruck leider nicht zu ändern, ist er mit seiner belanglosen Handlung und der völlig an der Oberfläche kratzenden interaktiven Steuerung (frei nach dem Motto: „Welchen der beiden Songs möchtest du abspielen?“ – „Okay, aber bitte spiel nun doch noch einmal den anderen Song ab“) im Endeffekt doch weder Fisch noch Fleisch.
Regie-Hypekind David Robert Mitchell hat nach seinem guten „It Follows“ in UNDER THE SILVER LAKE leider die Bodenhaftung verloren, anders lässt sich sein grandios prätentiöses Scheitern in diesem „Mulholland Drive“ für Arme mit Andrew Garfield als Aluhutträger wohl nur schwer erklären.
Den schmerzhaften DEM HORIZONT SO NAH möchte man fast schon als realitätsferne Fiktion für Liebeskummer-Masochisten abstempeln, tatsächlich beruht diese Belastungsprobe für weibliche Tränendrüsen über ein AIDS-krankes kickboxendes Unterwäschemodel aber sogar auf einer wahren Geschichte.
Die Stephen-King-Neuverfilmung IT CHAPTER TWO multipliziert die Schwächen des Erstlings auf drei Stunden (in der Zeit könnte man zwei andere gute Filme drehen) und kann sich dank der linearen Erzählweise auch nicht mehr von der Magie der Jugend retten lassen.
Wenn THE AMITYVILLE HORROR ein Franchise-Klassiker sein soll, dann hat es hoffentlich nichts mit dem drögen Haunted House Horror des Originalfilms zu tun, der allerhöchstens noch als unfreiwillige Komödie funktioniert.
JUSTICE LEAGUE hat es nie gegeben, denn in Joss Whedons Filmografie tummeln sich ausschließlich sehenswerte Werke (in einem Paralleluniversum kündigt HBO Max hoffentlich auch gerade den Whedon-Cut des zerfaserten „Age of Ultron“ an).
THE ASSASSIN von Hou Hsiao-Hsien fällt in die Kategorie des Cineasten-Pornos mit schönen Bildern und abstrakter Handlung, der sich über eine zweistündige Laufzeit mit jeder weiteren Minute je nach Betrachter entweder zur Ultrakunst erhebt oder schlicht in nervtötender Prätention versinkt.
Die schwedische Produktion THE UNTHINKABLE über Stockholm im Ausnahmezustand ist dagegen einfach nur undenkbar mies geschrieben und ohne jegliche versöhnenden Eigenschaften, was die Frage aufwirft, wie schlecht man sich eigentlich fühlen muss, mittels Crowdfunding just another bad movie finanziert zu haben.
Der verdiente Schlussrang geht wiederum an Jim Jarmuschs THE DEAD DON’T DIE, den ersten Film überhaupt, bei dem ich zwischenzeitlich im Kino einnickte – und ich ließ es sogar aktiv geschehen angesichts dieser verkrampft unwitzigen apokalyptischen Tristesse.
Beitragsbild ©2019 CTMG.
Film Still LAURA ©Twentieth Century-Fox Film Corporation
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