Als ich zu Saisonbeginn 2020/21 schrieb, die laufende Spielzeit am liebsten vorspulen zu wollen, sah ich das spielerische Elend bereits kommen. Zu offensichtlich war es, dass Werder Bremens jüngste Horrorsaison kein simpler Ausrutscher war, sondern nur den Auftakt zu einem nicht mehr enden wollenden Alptraum bildete. Nun ist auch noch tatsächlich der Worst Case eingetreten, und der Abstieg erwies sich als leider ebenso verdient wie vermeidbar. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt vor allem an dem von mir längst für gescheitert erklärten sportlichen Führungsduo, das vom Aufsichtsrat unter der miserablen Leitung Marco Bodes noch bis zum bitteren Ende die Lizenz zum Töten erhielt. Eine kurze Abrechnung.
EX-TRAINER FLORIAN KOHFELDT hat sich in der Saison 2020/21 vollständig von dem Plan verabschiedet, ein ambitionierter Chefcoach sein zu wollen. Über weite Strecken spielte Werder mit den unattraktivsten Fußball der Liga. Kurzfristig vermochte dieser Rumpelfußball noch seinen Zweck zu erfüllen, langfristig fehlte dem aber jede Vision. Kommt nämlich zu dürftigen Leistungen erst einmal eine Prise Matchpech hinzu, fällt jeder Trainer mit reinem Fokus auf Ergebnisfußball schneller auf die Nase, als er „Robin Dutt“ sagen kann. Es war wirklich ein Trauerspiel, Woche für Woche dabei zuzusehen, wie sich Kohfeldt in der (berechtigten) Hoffnung auf einen ähnlich limitierten Gegner mit minimalsten Skills durch die Liga gurkte. Für diesen einfallslosen Fußball, der die Punkte nur auswürfelte und die eigene Mannschaft auf niedrigem Niveau stagnieren ließ, brauchte es wahrlich keinen überbezahlten, ach so modernen Laptoptrainer an der Seitenlinie, da hätte es praktisch auch ein Feuerwehrmann alter Schule getan. Kohfeldt war längst kein Novize mehr, sondern nach Streich der zuletzt am längsten amtierende Trainer bei seinem Bundesliga-Verein. Man drückte ihm nach dem anfänglichen Höhenflug haufenweise Geld in die Hand, um den Kader nach seinen Vorstellungen umzubauen, und nach dem Beinahe-Totalschaden der Vorsaison blieb auf dem Platz schließlich dauerhaft die Handbremse angezogen. Das häufigste Spielprinzip war eine gammelige Mauertaktik, während man vorne auf den lieben Gott hoffte. Nur äußerst selten konnte man bei Ballgewinn ein taugliches Konterspiel aufziehen, und bei Rückständen war man tiefstehenden Abwehrreihen im Ballbesitzspiel nicht gewachsen. Die Werder-Bosse ließen sich jedoch in der Hoffnung auf eine neue goldene Trainer-Ära von einem Dummschwätzer blenden und drehten lachend in die Kreissäge springend den neuen Imagefilm Kohfeldt ’Til We Die. Nach glücklich errungenen 30 Punkten aus den ersten 24 Spielen wurde diese Betriebsblindheit schließlich mit nur 1 Punkt aus den letzten 10 Spielen sowie dem verdienten Abstieg abgestraft. Am Ende der Amtszeit konnte Kohfeldt seinen Vorgesetzten sogar noch eine Taktik mit defensiver Fünferkette, Bittencourt und Maxi Eggestein im Mittelfeld sowie drei Mittelstürmern im Angriff als Konzept zur Rettung verkaufen, und das sagt eigentlich auch schon alles aus über die Geistesfähigkeit aller verantwortlicher Personen.
MANAGER FRANK BAUMANN hat in seiner Amtszeit lediglich eine temporäre Veränderung zum Positiven bewirken können und den Verein nunmehr an den Tiefpunkt geführt. Bereits 2020 zog Werder wie schon vor Baumanns Amtsantritt 2016 nur ganz knapp den Kopf aus der Schlinge des tabellarischen Abgrunds, und ohne die Corona-bedingte Zwangsunterbrechung im Frühling wäre man wohl sogar bereits ein Jahr früher abgestiegen. Zuvor beging Baumann im Sommer 2019 den kapitalen Fehler, Häuptling Kruse nach dessen geplatztem England-Wechsel nicht mit Geld zu überschütten. Zu allem Überfluss befanden sich damals auch noch mehrere Spieler auf ihrem Marktwert-Höhepunkt und hätten von einem Ausbildungsverein wie Werder daher zwingend verkauft werden müssen, um den mangelhaften Kader voller Wasserträger von Grund auf umzukrempeln. Allein bei Pavlenka, Maxi Eggestein und Rashica wäre wohl eine Gesamtsumme von 60–70 Millionen Euro möglich gewesen, heute bekommt man für diese Herren dagegen nicht einmal mehr die Hälfte. Da man neben der Verkaufsstrategie auch noch die Einkaufsstrategie änderte und statt Mehrwertspielern über die Jahre plötzlich teure Fehlexperimente wie Klaassen, Toprak, Füllkrug, Osako, Selke und Bittencourt für zusammen knapp 50 Millionen Euro wagen wollte, verschlimmerte sich die Lage mittelfristig nur weiter. Immerhin blieb der Kelch Selke am Ende allen erspart, und Klaassen wurde zumindest noch in Nähe des Einkaufspreises weiterverkauft, doch alle weiteren genannten Herren befinden sich aus unterschiedlichen Gründen aktuell auf ihrem Marktwert-Tiefpunkt. Nicht Werders strukturelle und finanzielle Nachteile gegenüber der Konkurrenz haben zum letztendlichen Zusammenbruch geführt, sondern vielmehr der Größenwahn unter dem heiligen Kohfeldt, den CEO Baumann nicht zu stoppen wagte, sondern ihn lieber mit schlechter Zuarbeit komplimentierte. Als Werder vor der Saison 2020/21 schließlich ohne Mittelfeld dastand und Grujić nur noch auf die Vertragsunterschrift wartete, da verließ den von der Corona-Pandemie gebeutelten Baumann allerdings plötzlich der Mut. Das Ende vom Lied ist bekannt: Das Mittelfeld blieb ein Flickenteppich, der spätere Abstieg wurde am Transfer-Deadline-Day inoffiziell besiegelt.
NEU-TRAINER MARKUS ANFANG fungiert nun als Hoffnungsträger, ist aber jetzt bereits eine arme Sau, die maßgeblich unter Baumanns Vorarbeit zu leiden hat. Zunächst einmal lässt sich positiv festhalten, dass man mit ihm einen zweitligaerfahrenen, unverbrauchten Übungsleiter gewonnen hat, der für einen klaren Offensivfußball steht, den es beim Projekt Wiederaufstieg auch benötigen wird. Beim näheren Blick auf seine bisherigen Stationen fällt jedoch auf, dass Anfangs Fußball bisher nur bedingt funktioniert hat. Bei Holstein Kiel fand er einen professionell geführten Verein mit gutem Grundgerüst vor, bei dem er das Maximum herausholte. Den Zweitligaabsteiger 1. FC Köln führte er zwar zum Aufstieg, doch das Saisonende erlebte er nicht mehr mit. Trotz mehrerer Umstellungen im Saisonverlauf fand Anfang mit dem teuersten Kader der Liga nie die optimale Balance aus Offensive und Defensive, es fehlte ihm hierfür wohl vor allem ein fähiger 6er. In Darmstadt musste Anfang in der letzten Saison mit einem deutlich schwächeren Kader arbeiten, mit dem es ihm gar nicht erst gelang, seinen Offensivfußball erfolgreich spielen zu lassen. Als man folgerichtig in den Abstiegskampf rutschte, stellte Anfang schließlich auf ein reaktives System um und begann erst jetzt dank Dursuns Overperformance erfolgreich zu punkten. Wenn man als Frank Baumann also eins aus dem jüngsten Darmstadt-Intermezzo gelernt haben sollte, dann wohl, dass Anfang immer auch Anfang-Fußball spielen lassen will – und dafür sollte man ihm schleunigst einen passenden Kader bereitstellen. Dass die Mannschaft für Anfangs hochanspruchsvolle Spielidee nämlich auch eine längere Zeit zum Einspielen benötigen wird, kommt noch erschwerend hinzu.
DIE KADERPLANUNG bereitet Baumann jedoch direkt wieder Sorgenfalten, denn da es ihm in seiner Amtszeit nicht gelang, Werder zu einem Verein mit klarer Spielphilosophie und einem darauf abgestimmten Mannschaftskader zu entwickeln, ist es für ihn nun ein weiter Weg von Kohfeldts Clusterfuck-Truppe hin zu Anfangs bevorzugtem Spezialisten-Team. So sinnvoll ich es auch finde, dass Anfang auf Ballbesitzfußball und eine Grundtaktik aus Viererkette, dem 6er als Fixpunkt, Außenspielern im Mittelfeld und 1-Mann-Sturm setzt, so wenig eignet sich Werders Kader keine 2 Wochen vor dem ersten Saisonspiel für diese Art von Fußball. Mit Aursnes steckt der Wunsch-6er weiterhin in der Warteschleife fest, und die einzigen beiden startelftauglichen Außenspieler auf den vier dafür vorgesehenen Positionen wollen entweder lieber gehen (Agu) oder sollten vielleicht besser gehen (Bittencourt). Nicht einmal Agu wäre im Moment eine große Hilfe, da Anfangs System auf einrückende, absichernde Außenverteidiger setzt und eben nicht auf den Typus Flügelflitzer. Selbsterklärend für Ballbesitzfußball wäre eigentlich auch ein Torwart moderner Schule, doch bei einer Vertragsverlängerung mit Pavlenka hätte man hier direkt das nächste hausgemachte Problem.
DIE 2. BUNDESLIGA wirkt frisch und bunt und sollte zusammen mit dem Trainerwechsel eigentlich neue Euphorie entfachen. Endlich wieder Siegchancen! Doch die Konkurrenz ist hart, einer der zwei festen Aufstiegsplätze gefühlt schon für die Schalker reserviert und der Relegationsplatz in den meisten Fällen keine Erfolgsgeschichte für Zweitligisten. Werder muss aufpassen, nicht wie der HSV auf Jahre in der zweiten Liga steckenzubleiben, ansonsten könnte der Bundesliga-Abstieg für den nächsten großen Traditionsverein den Anfang vom Ende bedeuten. Entsprechend wichtig wäre es gewesen, dass der Geschäftsführer Sport in der Saisonvorbereitung frühzeitig die Weichen stellt. Angesichts des unfertigen Kaders kann man zum Saisonauftakt jedoch aktuell nur darauf hoffen, an den ersten 5 Spieltagen noch irgendwie mit einem blauen Auge davonzukommen. Bis zum Transferschluss Ende August bleibt Baumann nun Zeit, um seine Hausaufgaben vernünftig zu erledigen – je eher, umso besser. Andernfalls bliebe es nur ein naiver Traum, in dieser Saison über die 65-Punkte-Marke zu fantasieren. Stattdessen stünden schnell wieder Ausreden auf der Tagesordnung, die in den Verantwortungsbereich des Geschäftsführers Sport fielen, aber natürlich auf keinen Fall irgendetwas mit der Qualität der Arbeit von Frank Baumann zu tun hätten. Unabhängig vom sportlichen Erfolg wäre es also zumindest ein guter Vorsatz für Werders Saison 2021/22, endlich einmal weniger Blödsinn in den Sportredaktionen abzusondern, und das betrifft sowohl Journalisten als auch ihre Interviewpartner. Als mahnende Beispiele habe ich daher zum krönenden Abschluss die zehn memorabelsten Werder-Wortmeldungen des Jahres gesammelt, weil so viel Blödheit es einfach verdient, ausgestellt zu werden.
Die 10 dümmsten Werder-Zitate 2021
„Nach dem Sieg gegen Arminia Bielefeld hat Werder den vorzeitigen Klassenerhalt geschafft“
Björn Knips, Weser-Kurier
„Bei Selke hat Werder einen cleveren Deal ausgehandelt“
Jean-Julien Beer, Weser-Kurier
„Es war uns wichtig, von Florian zu hören, wie er es angehen will. Und das hat uns auch überzeugt, dass wir den Weg so weitergehen.“
Frank Baumann nach dem 31. Spieltag
„Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn er bliebe, weil er trotz der Kritik, die jetzt auf ihn hereinprasselt, einen wirklich sehr, sehr guten Job macht.“
Hubertus Hess-Grunewald über Frank Baumann
„Man unterschätzt die Schwierigkeit, mit den Mitteln in Bremen das auf die Beine zu stellen, was Frank geschafft hat.“
Aufsichtsrat Marco Fuchs über Frank Baumann
„Ich habe den höchsten Respekt vor unserem Publikum, das normalerweise im Stadion ist. Die Reaktion der Fans auf den Rängen ist enorm wichtig und für mich deutlich wichtiger als in den Foren und Social-Media-Kanälen. Ganz ehrlich: Dort habe ich in den vergangenen zwei Jahren nur sehr selten etwas Positives über Frank Baumann, Florian Kohfeldt oder mich gelesen. Wir wertschätzen die Meinung unserer Fans, aber die Foren sind für mich keine entscheidende Instanz.“
Marco Bode
„Wir haben intern bisher nicht einmal über die neue Saison gesprochen.“
Clemens Fritz, 3.5.21
„Ich halte die Diskussionen um angeblich falsche Taktik, das Nicht-Weiterentwickeln von Spielern, unattraktiven Fußball oder zu ängstliche Spielweise für Scheingefechte.“
Arnd Zeigler
„Ich breche den Stab nicht über Grosso, aber das ist natürlich die dümmste gelbe Karte der Saison.“
Florian Kohfeldt nach dem Augsburg-Spiel
„Ich war überrascht. […] Auch so manch anderer hat sich zu Recht gewundert.“
Leonardo Bittencourt über seinen Bankplatz
Beitragsbilder: ©Werder Bremen